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Eine Raffinerie in Pascagoula im US-Bundesstaat Mississippi 2016. © Carol M. Highsmith collection, Library of Congress

US-Umweltbehörde genehmigt hochgiftigen Plastik-Sprit

Daniela Gschweng /  Aus Plastik wieder Öl zu machen, klingt nach einer guten Idee. In der Praxis ist sie schwer umwelt- und gesundheitsschädlich.

Noch hat Chevron mit der Herstellung nicht begonnen, die Genehmigung der US-Umweltbehörde EPA ist aber schon erteilt: Der US-Ölkonzern will in einer Raffinerie in Pascagoula, Mississippi, demnächst Treibstoff aus Altplastik herstellen.

Aus Plastik wieder Öl zu machen, klingt zunächst nach einer guten Idee. Die EPA fördert solche Verfahren seit Januar 2022 als «klimafreundliche Alternative» mit einer vereinfachten Zulassung.

Klimafreundlich oder nachhaltig sei an dem neuen und «nachhaltigen» Treibstoff aber gar nichts, berichten «Pro Publica» und der «Guardian». Noch dazu sei die Herstellung mit einem «astronomischen» Krebsrisiko behaftet. Der Umwandlungsprozess verschmutze die Luft so sehr, dass einer von vier Menschen, die den Abgasen ihr Leben lang ausgesetzt sind, nach Modellrechnungen Krebs bekommen könnte.

«Ein obszönes Risiko» – Wissenschaftlerinnen sind fassungslos

Chevrons Alternativtreibstoff darf trotzdem als nachhaltig und sogar als «Bio-Treibstoff» bezeichnet werden. Alternativ zu fossilen Brennstoffen sind nach der Neuregelung Kraftstoffe aus Pflanzen, aber auch solche, die aus Abfällen gewonnen werden. Was bei Plastikmüll dem Klima gar nichts bringt. Der Plastik-Treibstoff setzt bei der Verbrennung fossiles CO2 frei, weil Plastik aus Erdöl hergestellt wird.

Das auf die Lebensdauer gerechnete Krebsrisiko bei der Herstellung des Recycling-Treibstoffes ist nach den Unterlagen 250’000-mal höher als der normalerweise von der US-Umweltbehörde akzeptierte Wert von einem Krebsfall pro Million Betroffener.

«Ein obszönes Risiko», zitieren die Recherchepartner die Toxikologin Linda Birnbaum. Die ehemalige Leiterin des US-Instituts für Umwelt- und Gesundheitswissenschaften wundert sich nach der Durchsicht der Unterlagen, dass die Zahlen überhaupt öffentlich wurden.

Die Chemikerin Maria Doa, die für den Environmental Defense Fund arbeitet und 30 Jahre lang für die EPA tätig war, vermutete sogar zunächst, es handle sich um einen Tippfehler. «Die EPA sollte das nicht erlauben, weder in Pascagoula noch sonstwo», sagt sie.

Abgase gefährlicher als Rauchen

Der grösste Teil der Gesundheitsbelastung entfällt auf die Bevölkerung, die im Umkreis von drei Meilen um die Raffinerie in Pascagoula lebt. Dort wohnen vor allem Menschen aus marginalisierten Gruppen, also Schwarze und Arme, die bereits jetzt durch die Raffinerie belastet sind.

Das lebenslange Krebsrisiko von 25 Prozent durch das Einatmen der Emissionen sei sogar höher als das lebenslange Lungenkrebsrisiko für Raucher. Die Regulierungsbehörde scheint das nicht zu stören. Nicht berücksichtigt ist zudem der Cocktail-Effekt mehrerer Giftstoffe.

Um welche Chemikalien es genau geht, konnten «Pro Publica» und der «Guardian» nicht in Erfahrung bringen. Nach Einschätzung der Autorin dieses Artikels handelt es sich bei den krebserregenden Stoffen womöglich um Dioxine und Furane, die bei der Verbrennung von Plastik bei zu niedrigen Temperaturen oder unzureichender Luftzufuhr entstehen.

Ein Dokument der EPA, das sich auf ein ganzes Dutzend Treibstoffe bezieht, deren Genehmigung Chevron beantragt hat, ist teilweise geschwärzt. Die Behörde beruft sich dabei auf den Schutz der Industrie vor Konkurrenz. Was man erkennen könne, sei aber genug, um abzuschätzen, dass schwerwiegende Gesundheitsrisiken vorliegen, darunter «Entwicklungsstörungen bei Kindern und Krebs sowie Schädigungen des Nervensystems, des Fortpflanzungssystems, der Leber, der Nieren, des Blutes und der Milz».

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Geschwärzter Ausschnitt aus einer EPA-Zustimmungsverfügung über aus Kunststoffen gewonnene Kraftstoffe, die der «Guardian» veröffentlicht hat.

Warum, fragen «Pro Publica» und der «Guardian», hat die EPA die offensichtlich hochgiftige Herstellung des «Plastik-Sprits» überhaupt genehmigt? Eindeutige Antworten bekamen sie nicht.

Keine Nachkontrollen, keine Überwachung

Die Zahlen, sagt eine Auskunftsperson der EPA, seien eine «sehr konservative Schätzung mit hoher Unsicherheit», was nicht eben beruhigend klingt. Chevron wehrte sich als Antwort auf Fragen zunächst gegen die Angabe des Risikos von «eine von vier Personen» und gab dann eine schriftliche Erklärung ab: Wenn die EPA ein unzumutbares Risiko feststelle, könne sie Herstellung, Verarbeitung und Vertrieb ja einschränken oder verbieten, schreibt der Konzern.

Eigentlich überflüssig zu sagen: Grundsätzlich darf die EPA Chemikalien, die ein ernsthaftes Risiko für Umwelt oder Gesundheit darstellen, nicht genehmigen. Ausnahmen gibt es, wenn die Gefährdung eingeschränkt werden kann, etwa durch Abgasfilter, Überwachung oder regelmässige Kontrollen.

Falls sich die Prüfenden bei der EPA nicht sicher sind, können sie weitere Tests anordnen. Was sie nicht getan haben. Wenn es Massnahmen zur Risikominimierung gebe, schreibt «Pro Publica», seien sie nicht bekannt. Die EPA verweist auf Nachfrage auf Bundesgesetze wie Arbeitsschutzvorschriften, den Clean Water Act, den Clean Air Act und die für Raffinerien geltenden Vorschriften, die das Risiko minimieren könnten.

Zahnlose Gesetze, Intransparenz und sehr viele Schätzungen

Argumente, die das Amt für Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz (OSHA) schnell zerlegt. Die veralteten Standards sähen lediglich für die Chemikalie Benzol eine Luftüberwachung vor. «Neue Kraftstoffe» fielen nicht unter den Clean Air Act und der Clean Water Act befasse sich nicht mit Luftverschmutzung. Überwachen könne man zudem nur, was man auch wisse. Die Namen der betreffenden Chemikalien seien aber nicht bekannt.

Der unabhängige Umweltberater Scott Throwe, der als Spezialist für Luftverschmutzung 30 Jahre bei der EPA tätig war und von den Recherchepartnern um seine Einschätzung gebeten wurde, sieht das ähnlich. Die Vorschriften stammten aus einer Zeit, als es die betreffenden Chemikalien noch gar nicht gegeben habe, sagt er.

Alles andere beruhe auf Schätzungen. Die EPA stützt sich auf Studien über ähnliche Chemikaliengemische, die aus Rohöl hergestellt werden. Wie diese von Menschen aufgenommen werden, musste die EPA ebenfalls schätzen.

Zweifelhafte Erneuerbarkeit im «Erneuerbare Treibstoffe-Programm»

Das wirft grundsätzliche Fragen nach Art und Zielsetzung des Programms auf. Der neuartige Chevron-Treibstoff ist nicht der erste, der aus Plastik hergestellt werden soll – und auch nicht der einzige, der unter das «Renewable Fuel Standard Program» fällt. 16 der bisher im Rahmen des Programms zugelassenen Brennstoffe werden aus Abfällen hergestellt. Wie viele davon auf Plastik basieren, wollte die EPA auf Nachfrage der Recherchepartner nicht sagen.

Plastik ist ohne Zweifel nicht «renewable», also kein erneuerbarer, nachwachsender Rohstoff. Bei der Umwandlung in Treibstoff werden klimaschädliche Gase frei.

Treibstoff aus Plastik zu machen, sei in gewisser Weise noch klimaschädlicher, als es bleiben zu lassen, resümieren die Recherchepartner. Um ein Material, das zu 99 Prozent aus fossilen Rohstoffen besteht, in ein brennbares Gemisch zu überführen, würden noch mehr fossile Rohstoffe eingesetzt.

Eine Studie des US-Energieministeriums rechnete kürzlich aus, dass das Aufbereiten von Plastik durch einen Prozess namens Pyrolyse 10 bis 100-mal energieintensiver ist, als Plastik direkt aus fossilen Rohstoffen herzustellen. Plastik, das aus Ketten von Molekülen besteht, wird dabei durch Hitze in kleinere Moleküle zerlegt.

Die entstehende teils flüssige, teils gasförmige Mischung kann dann raffiniert, also in einzelne Stoffe aufgetrennt und weiter eingesetzt werden. Greenpeace kritisiert Plastikrecycling durch Pyrolyse seit Jahren als Irreführung der Konsument:innen (Infosperber berichtete).


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

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